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Medizinalrat Professor Breit war gestorben. Seine drei Söhne trafen sich zu dem traurigen Geschäft, seinen Nachlass unter sich aufzuteilen. Unter vielen Kostbarkeiten fand sich eine Vitrine, wie es sie früher öfters in Haushal­ten gab: ein schmaler hoher Glasschrank mit vergoldeten Pfosten und geschliffenen Scheiben. Diesen Schrank hatte der Vater bei Lebzeiten wie ein Heiligtum gehütet. Auf­bewahrt hatte er darin kleine Kostbarkeiten und seltene Erinnerungsstücke.

Beim Ausräumen stutzten die Brüder plötzlich. Im unter­sten Fach hatte einer von ihnen ein merkwürdiges Gebilde entdeckt: einen grauen, verschrumpften und knochenharten Klumpen, wie von Kinderhand aus Lehm geknetet. Vor­sichtig nahm er ihn heraus, im Glauben, etwas sehr Wert­volles in Händen zu halten. Die Brüder traten hinzu und hielten den merkwürdigen Gegenstand unter die Lampe. Wie groß war ihr Erstaunen, als sie erkannten, dass es sich um nichts anderes handelte als um ein vertrocknetes Stück Brot. Ratlos sahen sie einander an. Von welchem Wert mag dieses Brot dem Vater gewesen sein? Warum hatte er wohl jahrelang ein altes Stück Brot in der Vitrine aufbe­wahrt?

Endlich befragten sie die alte Haushälterin. Die brauchte sich nicht lange zu besinnen. Unter häufigem Schluchzen wusste sie folgende Begebenheit zu berichten: In den Hun­gerjahren nach dem Weltkrieg hatte der alte Herr einmal schwerkrank daniedergelegen. Zu der akuten Erkrankung war ein allgemeiner Erschöpfungszustand getreten. Die Ärzte runzelten bedenklich die Stirn und murmelten etwas von kräftiger Kost. Damals hatte ein Bekannter ein halbes Stück Brot geschickt mit dem Wunsch, der Medizinalrat möge es getrost essen. Auf diese Weise käme er wieder ein wenig zu Kräften. Es sei ein gutes, vollwertiges Brot, das er selbst von einem Ausländer erhalten habe.

 

Zu dieser Zeit aber lag gerade im Nachbarhaus die kleine Tochter des Lehrers krank im Bett. Der Medizinalrat ver­sagte sich deshalb das Brot selbst zu essen. Er schickte es den Lehrersleuten hinüber. “Was liegt an mir altem Manne”, sagte er, “das junge Leben dort hat es nötiger!”

Wie sich aber später herausstellte, hatte auch die Lehrers­frau das Brot nicht behalten wollen. Sie hatte es der alten Witwe weitergegeben, die in ihrem Dachstübchen ein Not­quartier bezogen hatte. Aber auch damit war die selt­same Reise des Brotes nicht zu Ende. Die Alte mochte eben falls nicht davon essen. Sie trug es zu ihrer Tochter, die mit ih­ren beiden Kindern in einer kümmerlichen Kel­lerwohnung Zuflucht gefunden hatte. Die hingegen erin­nerte sich daran, dass ein paar Häuser weiter der alte Me­dizinalrat krank lag. Einen ihrer Buben hatte er kürzlich behandelt, ohne etwas dafür zu fordern. Nun ist die Gele­genheit da, dass ich mich bei dem freundlichen alten Herrn bedanke, dachte sie. Sie nahm das halbe Brot und ging damit zur Wohnung des Medizinalrates. Dieser erkannte sein eigenes Brot sofort wieder. Maßlos erschüttert sagte er: “Solange Menschen noch ihr letztes Stück Brot herge­ben, habe ich keine Angst um uns. Dieses Brot wollen wir gut aufheben. Wenn wir in Zukunft einmal nur an uns den­ken wollen, müssen wir es anschauen. Dieses Brot hat viele Menschen satt gemacht, ohne dass ein einziger davon gegessen hat. Es ist wie heiliges Brot. Es soll uns an den erinnern, der ge­rade Brot uns zum Zeichen seiner letzten Hingabe ge­schenkt hat”. Damals legte es der Medizinalrat in die Vi­trine. Und oft hat er es angeschaut.

Erschüttert hatten die Brüder zugehört. Lange Zeit schwie­gen sie. Endlich sagte der Älteste: “Ich denke, wir sollten das Brot unter uns aufteilen. Ein jeder mag zum Andenken an den Vater ein Stück davon aufbewahren. Es soll auch uns daran erinnern, dass nur der wirklich lebt, der das Wertvollste weiterschenken kann”.

 

Herkunft unbekannt

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